Stammtisch des LC Pariser Platz am 25.09.2020

Der Stammtisch führte dank ACHIM BAHR, der bereits in der letzten Präsenzsitzung einen hochinteressanten Vortrag über die Entwicklung des räumlichen Sehens in Kunst und Technik referiert hatte, zur STALINALLEE in Friedrichshain.

Stalinallee? Nun, es handelte sich bei diesem größten städtebaulichen Projekt 1952-1954 Berlins tatsächlich um eine Hommage an den russischen „Zuckerbäckerstil“. Der „größte lebende Mensch“, als den ihn die kommunistische Propaganda beschrieb, sollte ein würdiges Denkmal bekommen – sowohl im echten wie im übertragenen Sinne.

Unsere Begehung begann dort, wo die Neubebauung ihren Anfang nahm – beim Laubenganghaus nahe Weberwiese. Dies stand noch unter dem Einfluss der Ideen Hans Scharouns und fand keine Gnade unter den Augen des SED-Chefs Walter Ulbricht. Direkt an der Weberwiese entstand das Hochhaus, das der Architekt Henselmann entwarf, der später fast zum Synonym für die Stalinallee wurde, während der Bauhausarchitekt Richard Paulick als Organisationsleiter des Projektes ebenso großen Anteil hatte wie der Chefarchitekt.

Das Hochhaus an der Weberwiese zeigte bereits alle Merkmale der späteren Bauten: Verzierungen, Säulen (ohne statische Bedeutung), moderne Ausstattung mit Aufzug, getrenntem Bad usw. Insgesamt verfolgte das Projekt „Stalinallee“ einen eminent politischen Zweck. Im Wettbewerb mit dem Westen sollten Wohnungen für Werktätige mit allem Komfort (große Flächen, Aufzug, Müllschlucker) entstehen, die im Westen nichts Entsprechendes hatten. Die Außenfassaden wurden mit Keramiken aus Meißen dekoriert. Normale Arbeiter sollten dort für geringe Miete wohnen dürfen.

Groß war die Begeisterung in Ost-Berlin, so dass zahlreiche Freiwillige am Aufbau mithelfen wollten, natürlich auch mit dem Hintergedanken, eine Wohnung dort beziehen zu dürfen. Man darf nicht vergessen: der Krieg war erst vor sieben Jahren zu Ende gegangen, die Stadt schwer zerstört.

Doch, als 1953 die Arbeitsnormen um 10% erhöht wurden, kam es zum Volksaufstand vom 17.Juni 1953. Er nahm in der Stalinallee seinen Anfang und wurde durch die Sowjetarmee niedergeschlagen.

Ungeachtet dessen wurde das Projekt auf einer Länge von 2,3 km innerhalb von 2 Jahren fertiggestellt – großenteils mit Materialien aus dem Trümmerschutt. Das hatte Spätfolgen, denn die Bauqualität führte zu einem frühen Verschleiß; die Keramikfliesen platzten von den Fassaden.

ACHIM BAHR führte die Lions dann Richtung Strausberger Platz. Sie konnten einen Laden sehen, der nahezu unverändertes Mobiliar aufwies – die Stalinallee (heute Frankfurter Allee) ist Flächendenkmal. Er meinte, in den wuchtigen Bauten Elemente des Stils von KARL-FRIEDRICH SCHINKEL, dem preußischen Kunstgenie, erkennen zu können, der allerdings über ein unübertroffenes Gefühl für Proportionen verfügte, das den Bauten an der Stalinallee nicht nachgesagt werden kann.

Trotzdem handelt es sich um ein wichtiges städtebauliches Ensemble, das völlig zu Recht unter Denkmalschutz gestellt wurde. 1989 – Wendezeit – war es bereits arg heruntergekommen und wurde – eine Ironie des Schicksals – von Privatinvestoren gerettet.

Der aufschlussreiche Rundgang fand sein Ende im Restaurant „Altes Umspannwerk“ in der Palisadenstraße.

Text: K. Ruhl
Fotos: Th. Schaath

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